Grundsätze gegen die Einflussnahme der Tabakindustrie

13.11.2024 Ende Oktober veröffentlichten 16 deutsche medizinische Fachgesellschaften und Organisationen online ihr Positionspapier mit einem Kodex zum Umgang mit der Tabak- und Nikotinindustrie.

Aus unserer Sicht ist es absolut vordringlich für die Politik, sich parteiübergreifend die Grundsätze dieses Kodex zu eigen zu machen: Keine Kooperationen mit der Tabakindustrie und ihren Verfechtern, keine Einbindung in Entscheidungsprozesse, wo es nicht unbedingt erforderlich ist, keine Annahme von Geldern für jedwede Zwecke und vollständige Transparenz zu Treffen und sonstigen Kontakten mit Tabaklobbyisten gegenüber der Öffentlichkeit. Nur so kann es in der Tabakprävention echte Fortschritte geben.

Das Positionspapier ist nicht nur für den medizinischen Bereich von Interesse, sondern für alle, die sich in der Tabakprävention engagieren oder dazu Entscheidungen zu treffen haben. Deshalb greifen wir seine Ausführungen auf und ergänzen sie mit Kommentaren und einigen Links.

Am Anfang des Papiers steht die Feststellung, es bestehe ein „grundlegender und unüberbrückbarer Konflikt zwischen den Interessen der Tabakindustrie und den Interessen der öffentlichen Gesundheitspolitik“, wie bereits im Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC) formuliert. Daher fordert die WHO, die gesundheitspolitischen Maßnahmen der Tabakkontrolle so weit wie möglich vor dem Einfluss der Tabakindustrie zu schützen: Dazu gehört, weder mit ihr noch mit Organisationen oder Personen, die sich für ihre Interessen einsetzen, zusammenzuarbeiten oder Geld von ihr anzunehmen. Diesen Forderungen folgen die Fachgesellschaften in ihrem Kodex, wobei unter „Tabakindustrie“ auch die Hersteller von E-Zigaretten, Tabakerhitzern und Nikotinbeuteln subsumiert werden. Des Weiteren sollen nach dem Willen der Fachgesellschaften bestehende oder frühere Beziehungen zu Tabakunternehmen offengelegt werden.

Die Tabakindustrie versucht seit Jahrzehnten, Einfluss auf Wissenschaft und Politik auszuüben. Eine ihrer modernen Strategien ist ihre im Papier so bezeichnete „Pharmazeutisierung“. Das heißt, die Industrie bezweckt, mit dem von ihr behaupteten Konzept „Schadensminimierung“ die Wissenschaft zu spalten, gesundheitspolitische Regulierungen zu ihrem Vorteil abzuschwächen und mehr soziale Akzeptanz zu erlangen. Begriffe wie tobacco harm reduction, unsmoke oder smoke-free sollen umdefinieren, was „Schaden“ für die Gesundheit bedeutet.

Vorrangiges Ziel ist, sinkende Raucherzahlen, vor allem in den USA und Europa, durch neue Konsumenten für Tabakerhitzer, E-Zigaretten und Nikotinbeutel zu kompensieren und gleichzeitig Zweifel an deren Unbedenklichkeit zu zerstreuen. Dafür werden gewaltige Summen in direkte und indirekte Werbung investiert und Lobbyaktionen auf allen Ebenen finanziert. Wie die WHO gerade ankündigt, steht der nächste Weltnichtrauchertag passenderweise unter dem Motto „Unmasking the appeal: Exposing Industry Tactics on Tobacco and Nicotine Products.“ („Entlarvung der Attraktivität: Taktiken der Industrie bei Tabak- und Nikotinprodukten aufdecken“).

Verbindungen zwischen Interessengruppen und Geldflüssen werden von der Tabakindustrie konsequent verschleiert. Als Beispiel dafür nennt das Papier die Philip-Morris-Stiftung „Foundation for a Smoke-free World“ (FSFW). Mit Millionenbeträgen von PMI ausgestattet, finanzierte sie unter vielen anderen Organisationen die Londoner „Knowledge Action Change“ (KAC), die wiederum Vernetzungs-Events wie das „Global Forum on Nicotine“ ausrichtet. Wie uns bekannt ist, nahmen daran bisher auch Mitglieder deutscher E-Zigaretten-Verbände teil und bekamen vom Veranstalter dafür Flug- plus Hotelkosten erstattet.

2023 änderte die FSFW ihren Namen in „Global Action to End Smoking“ (GAES). Sie erklärte sich völlig unabhängig von PMI, erhielt aber einen dreistelligen Millionenbetrag vom Tabakriesen, der ihre Aktivitäten noch auf Jahre sichern dürfte. Ziel der Änderung ist, den ruinierten Ruf der FSFW hinter sich zu lassen und ein besseres Renommee aufzubauen. Viele Detailinformationen über tabakaffine Organisationen und Personen hat die University of Bath auf ihrer Website tobacco tactics gesammelt.

Mit Erfolg wird zum Beispiel die unbelegte Aussage verbreitet, E-Zigaretten seien um 95 Prozent weniger schädlich als Tabakzigaretten. Dabei gestehen sogar die Autoren der Studie von 2013, die diesen Wert in die Welt setzte, ein: „A limitation of this study is the lack of hard evidence for the harms of most products on most of the criteria”1 („Eine Einschränkung dieser Studie ist das Fehlen stichhaltiger Beweise für die Schädlichkeit der meisten Produkte in Bezug auf die meisten der Kriterien“). Unserer Ansicht nach ist das eine andere Art zu sagen: „Diese Studie hat keinerlei Aussagewert.“ Eine gut lesbare Entzauberung des 95-Prozent-Mythos findet man übrigens im Blog der Arbeitsgemeinschaft Suchtprävention Schweiz unter https://www.at-schweiz.ch/de/at-blog/95/.

Wichtig hierzu ist auch der Hinweis der Fachgesellschaften, weniger Schadstoffe hätten nicht zwangsläufig ein geringeres Erkrankungsrisiko zur Folge. Entsprechend stellen bereits zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen erhöhte Risiken für Krebs, Herz- und Kreislauf- sowie Atemwegserkrankungen beim Konsum von E-Zigaretten fest, dazu geben die Fachgesellschaften Quellen an. Das Positionspapier legt im Zusammenhang mit Studien zur Schädlichkeit von E-Zigaretten dar, dass deren Autoren teilweise ihre Interessenkonflikte wegen Verbindungen zur Tabakindustrie nicht offenlegen. Interessantes Ergebnis einer Analyse von 94 Studien: Während 95 % der Studien ohne Interessenkonflikt mögliche schädliche Auswirkungen von bzw. Substanzen in E-Zigaretten finden, ist dies nur bei 7,7 % von herstellerfinanzierten Studien der Fall.2 Zwei weitere Metaanalysen, die das Positionspapier anführt, kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

  1. Zitiert von Eissenberg T, Bhatnagar A, Chapman S et al. Invalidity of an Oft-Cited
    Estimate of the Relative Harms of Electronic Cigarettes
    . Am J Public Health 2020; 110: 161–162 doi:10.2105 ↩︎
  2. Pisinger C, Godtfredsen N, Bender AM. A conflict of interest is strongly associated with tobacco industry-favourable results, indicating no harm of e-cigarettes. Prev Med 2019; 119: 124–131 doi:10.1016/j. ypmed.2018.12.0112 ↩︎