18.10.2023 Der Bund hat verfassungsrechtlich die umfassende Gesetzgebungskompetenz für den Nichtraucherschutz. Auch in der Gastronomie. Er hat davon bislang nur in sehr geringem Umfang Gebrauch gemacht und den Nichtraucherschutz weitgehend den Bundesländern überlassen. Damit verletzt er seine völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der WHO Framework Convention on Tobacco Control (WHO FCTC).
Gegner eines besseren Nichtraucherschutzes bestreiten gerne, dass der Bund die umfassende Gesetzgebungskompetenz für den Nichtraucherschutz hat. Das ist jedoch unzutreffend.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags gehen in zwei Gutachten (WD 3 – 288/06 und WD 3 – 3000 – 215/15) ebenso wie die herrschende Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur davon aus, dass der Bund die Kompetenz für Rauchverbote in allen Lebensbereichen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz (GG) (Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten) hat. Unter gemeingefährlichen Krankheiten werden solche verstanden, die zu schweren Gesundheitsschäden oder zum Tod führen können, ohne ansteckend zu sein. Sie müssen eine gewisse Verbreitung aufweisen oder aufweisen können. Zu den gemeingefährlichen Krankheiten gehören Krebs und zahlreiche weitere durch Tabakrauch verursachte Erkrankungen. Unter den Maßnahmenbegriff fallen auch präventive Bekämpfungsmaßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten. Dazu zählen Rauchverbote. Rauchen ist der bedeutendste Risikofaktor für Krebserkrankungen. Nach gesicherter Studienlage verursacht auch das Passivrauchen Krebs und viele andere schwere Erkrankungen.
Auch der Referentenentwurf zum Cannabisgesetz folgte dieser Rechtsauffassung: „Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die vorgesehenen Regelungen im Bereich des Nichtraucherschutzes folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten). Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG weist dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten zu. Unter den Maßnahmenbegriff können auch präventive und vorbeugende Bekämpfungsmaßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten, wie beispielsweise Krebs, subsumiert werden. (…)“.
Im Regierungsentwurf wurde dies zusammen mit dem Rauchverbot im Auto, wenn Schwangere oder Minderjährige mitfahren, wieder gestrichen, weil es offenbar politischen Widerstand aus der FDP dagegen gab. Stattdessen heißt es jetzt: „Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die vorgesehenen Änderungen im Bereich des Nichtraucherschutzes (Artikel 8) folgt aus den für die zu ändernden Regelungen in Anspruch genommenen Kompetenztiteln (vgl. Bundesrats- Drucksache 16/5049 vom 20. April 2007, Seite 8).“ Damit rekurriert die Bundesregierung wieder auf die seinerzeit von der Tabaklobby geprägte Auffassung, dass der Bund nur eine bereichsspezifische Kompetenz für den Nichtraucherschutz habe. Der Rechtswissenschaftler Fritz Ossenbühl hatte diese Auffassung in einem Gutachten für die Tabakindustrie vorgezeichnet. Darin fordert er, dass Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG nur solche seien, die „gezielt und unmittelbar dem Ausbruch und der schädigenden Wirkung konkreter gemeingefährlicher Krankheiten“ entgegenwirkten. Rauchverbote seien von diesem Kompetenztitel nicht umfasst. Der Spiegel hat in „Qualm in der Bananenrepublik“, Der Spiegel 51/2006, und „Deutscher Dunst“, Der Spiegel 7/2007, detailliert nachgezeichnet, wie die Große Koalition diese Auffassung übernommen hat, weil sie die Interessen der Tabaklobby bedienen und daher politisch keinen umfassenden Nichtraucherschutz durch Bundesgesetz in der Gastronomie wollte.
Wie die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags zutreffend festgestellt haben, bietet das Grundgesetz aber keine Anhaltspunkte für eine derartig einengende Auslegung (WD 3 – 288/06, S. 6). Wollte man ein solches „Unmittelbarkeitserfordernis“ postulieren, müsste dies in gleicher Weise für die Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gelten. Dann wären erhebliche Teile des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) nicht mehr von der Bundeskompetenz gedeckt – von den Meldepflichten bis zum Beschäftigungsverbot von Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen in Küchen von Gaststätten (§ 42 IfSG). Das überzeugt nicht. Maßnahmen gegen gemeingefährliche und gegen übertragbare Krankheiten setzen sinnvollerweise in einem frühen Stadium an, um eine wirksame Prävention gewährleisten zu können. Ein vages „Unmittelbarkeitserfordernis“ lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Dementsprechend erkennen unabhängige wissenschaftliche Studien auch Akte der „gesetzgeberischen Vorsorge“ als von der Kompetenz erfasste Maßnahmen an (WD 3 – 288/06, S. 6 f.).
Der Bund hat somit die umfassende Gesetzgebungskompetenz für ein Rauchverbot, auch in Gaststätten. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz für das Gaststättenrecht haben. In den Bereichen, in denen der Bund die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz hat, gelten die Bundesgesetze auch in Gaststätten. So regelt der Bund den Infektionsschutz auch in Gaststätten auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten), indem etwa § 42 Infektionsschutzgesetz bestimmt: „Personen, die an Typhus abdominalis (…) erkrankt oder dessen verdächtig sind (…) dürfen nicht tätig sein oder beschäftigt werden (…) in Küchen von Gaststätten und sonstigen Einrichtungen mit oder zur Gemeinschaftsverpflegung.“ § 10 Jugendschutzgesetz sieht vor: “In Gaststätten (…) dürfen Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche weder abgegeben noch darf ihnen das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte gestattet werden.“ Auch § 5 Arbeitsstättenverordnung sieht – den Anforderungen der WHO FCTC nicht genügende – Bestimmungen zum Nichtraucherschutz in Gaststätten vor. Der Bund kann den Nichtraucherschutz in Gaststätten auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten) somit umfassend regeln.
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für einen umfassenden Nichtraucherschutz in Gaststätten bislang festgestellt, dass es keiner Entscheidung bedürfe, ob der Bund aufgrund einer Regelungsmaterie der konkurrierenden Gesetzgebung solche Rauchverbote in Gaststätten anordnen könnte, denn von dieser etwaigen Zuständigkeit habe der Bund bisher keinen oder zumindest keinen umfassenden Gebrauch gemacht (1 BVR 3262/07, Randnummer 97). Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage wird es also nur geben, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht.
Dazu ist er völkerrechtlich verpflichtet. Nach Artikel 8 der WHO FCTC ist Deutschland verpflichtet, den Nichtraucherschutz insbesondere an allen Arbeitsplätzen in geschlossenen Räumen und an allen öffentlichen geschlossenen Orten zu gewährleisten. Raucherräume dürfen nicht zugelassen werden. Das schließt Gaststätten ein. Dies muss auf nationaler Ebene geschehen, soweit nach nationalem Recht zulässig („Each Party shall adopt and implement in areas of existing national jurisdiction as determined by national law and actively promote at other jurisdictional levels …”). In Deutschland hat der Bund, wie gezeigt, die hierfür erforderliche konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den Nichtraucherschutz.
Im Regierungsentwurf zum Cannabisgesetz bekennt sich die Ampelkoalition zu einer regelbasierten internationalen Ordnung und zur Einhaltung der einschlägigen völkerrechtlichen Suchtstoffübereinkommen. Ebenso muss die Koalition die völkerrechtlichen Verpflichtungen zu einem vollständigen Nichtraucherschutz in der Gastronomie aus der WHO FCTC umsetzen. Bisher verletzt Deutschland die WHO FCTC massiv und belegt in der Folge nur Platz 34 von 37 europäischen Ländern auf der internationalen Tobacco Control Scale.
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Nichtraucherschutz gilt gleichermaßen für die Innen- wie für die Außengastronomie. Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung vom 3. Februar 2021 zu Europas Plan gegen den Krebs (COM(2021) 44 final) gefordert, dass mehr rauchfreie Umgebungen auch im Freien geschaffen werden. Sie beabsichtigt, in ihrem Vorschlag zur Neufassung der Empfehlung des Rates über rauchfreie Umgebungen (2009/C 296/02) vorzusehen, dass auch die Außengastronomie rauchfrei werden soll. Dies wird unter anderem durch die Studie S. E. Henderson et al., Secondhand smoke exposure assessment in outdoor hospitality venues across 11 European countries, Environmental Research 200 (2021) 111355, gestützt.
Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass der Gesetzgeber ein ausnahmsloses Rauchverbot in allen Gaststätten verhängen darf (1 BVR 1746/10, Randnummern 11 ff.).
Die Ampelkoalition muss für einen umfassenden Nichtraucherschutz sorgen, mit dem Deutschland seine völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der WHO FCTC erfüllt. Dies sollte gleichermaßen für Tabak, E-Zigaretten und ggf. Cannabis erfolgen. Der Bund hat die hierfür notwendige Gesetzgebungskompetenz. Er darf sich der Verantwortung nicht entziehen.