Tabakkontrolle – ein unbekanntes Wort in der Agenda deutscher Regierungen
23.02.2020 – Herzlichen Glückwunsch, liebe Bundesregierung und Vorgängerinnen, Ihr habt es endlich geschafft! Euer unermüdlicher Einsatz für die freie Entfaltung der Tabaksucht hat sich gelohnt: Deutschland ist auf dem lang ersehnten letzten Platz in der Tabakkontrollskala (TCS) angekommen und wird seinen Platz sicherlich unangefochten in den nächsten Jahren halten können. 120.000 Tabaktote jedes Jahr sind die Folge.
Der europaweite Vergleich der Bemühungen der europäischen Länder (neu: plus Israel) um die Eindämmung des Tabakgebrauchs zeigt deutlich: Deutschland ist nach wie vor Nichtrauchers Schreckensland. „Wäre dies ein Test, für dessen Bestehen mindestens 50 Punkte nötig wären“, heißt es im aktuellen Bericht des TCS, „würden 14 Länder (…) durchfallen.“ Der allerschlechteste Kandidat mit 40 von 100 möglichen Punkten, schlechter noch als die Schweiz, die nicht einmal die WHO-Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle ratifiziert hat, ist Deutschland.
Kein Wunder, denn hierzulande fehlt es nicht nur an einer erkennbaren und langfristigen Strategie sowie der Finanzierung, sondern schlicht an der Motivation. Letztlich sind Bemühungen für mehr Tabakkontrolle auf Bundesebene immer an den Regierungsparteien gescheitert, genauer gesagt: vorrangig an der Union, noch genauer gesagt: am Wirtschaftsflügel der Union. Diese Untergruppe einer einzigen Partei hat es über Jahre hinweg geschafft, den Einfluss der Tabakindustrie aufrechtzuerhalten und deren Argumente dabei kritiklos ins eigene Räsonnement zu übernehmen.
Besonders heuchlerisch ist das immer wiederkehrende Argument gegen mehr Nichtraucherschutz oder Werbeverbote: „Wir wollen keine Verbote… Verbote führen nicht zum Ziel… Wir setzen auf Aufklärung und Prävention.“ Denn mit präventiven Maßnahmen gegen den Tabakkonsum sieht es in Deutschland traurig aus. Als Bausteine eines wirksamen Maßnahmenpakets gelten
- Der Zigarettenpreis. Liegt im europäischen Vergleich in Deutschland zwar im oberen Drittel, aber die Preiserhöhungen für Zigaretten gehen seit 2015 ausschließlich auf die Kappe der Hersteller. Steuererhöhungen gab es nicht mehr seit fünf Jahren. Die von Finanzminister Scholz geplante stufenweise Anhebung, übrigens ein Wunschziel der Tabakindustrie, fällt bis auf Weiteres aus. Pfeifentabak (darunter der stark nachgefragte für Shishas und der für Tabakerhitzer) sind weiterhin steuerlich begünstigt.
- Rauchfreier Arbeitsplatz, rauchfreie öffentliche Orte: Durch eine Änderung von §5 Abs. 2 der Arbeitsstättenverordnung hätte die Bundesregierung mit einem Streich den Nichtraucherschutz an allen Arbeitsstätten sicherstellen können, inklusive Gastronomie, sodass die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern damit beendet worden wären. Wir hatten 2014 Ex-Ministerin Nahles dringend um die Streichung gebeten – leider erfolglos. Die Chance wurde vertan.
- Informationskampagnen über die Schäden des Tabakkonsums: außer den schon recht angestaubten Materialien und der Be smart don’t start-Kampagne an Schulen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.(BzgA) Fehlanzeige. 14 Milliarden Euro Tabaksteuereinnahmen stehen insgesamt 2,9 Millionen (!) Ausgaben für Tabakkontrolle gegenüber.
- Umfassende Werbe- und Promotionsverbote. Die Versuche, ein Werbeverbot durchzusetzen, gehen nun schon ins vierte Jahr. Die Union – wieder bestimmend – hat sich zu einem sog. Eckpunktepapier durchgerungen, das lange Übergangsfristen und zahlreiche Ausnahmen vorsieht, z.B. soll Werbung am Verkaufsort, auch außen, oder im Kino bei Filmen für Erwachsene weiterhin erlaubt bleiben. Sponsoring, für das seit Jahren immer mehr Gelder der Tabaklobby fließt, soll überhaupt nicht eingeschränkt werden, auf dass die Parteitage von CDU/CSU und SPD weiterhin mit Tabakgeld mitfinanziert werden können. Dieses Positionspapier schimmelt irgendwo vor sich hin – man hat schließlich derzeit andere Probleme.
- Gesundheitswarnungen: Deutschland hat die Mindestvorgaben der EU umgesetzt – mehr nicht. Das Verdecken der Warnbilder bei der Warenpräsentation in Regalen und in Automaten wurde von Gesetzgeberseite nicht wirksam verhindert. Man wartet lieber auf Erfolge aus Gerichtsverfahren, die zum Beispiel von Pro Rauchfrei auf eigenes Kostenrisiko betrieben werden.
- Entwöhnungsangebote: Weder existiert eine Leitlinien-Strategie noch ein bundesweites Netzwerk, das bundesweit niedrigschwellige Angebote bereitstellt. Von den sechs Verlinkungen zu geförderten Projekten auf der Website der Drogenbeauftragten funktionieren zwei nicht. Kostenerstattungen für die Teilnahme an Entwöhnungsmaßnahmen liegen im Ermessen der Krankenkassen.
- Kampf gegen Tabakschmuggel: Da es um direkte Einnahmen geht, ist Deutschland in diesem Bereich aktiv.
- Maßnahmen gegen Einflussnahme der Tabakindustrie: Da es um direkte Einnahmen geht, ist Deutschland in diesem Bereich inaktiv.
Fazit: Zwar berufen sich die Tabakfürsprecher unablässig auf Tabakprävention und Aufklärung, jedoch verhindern sie erstere (keine Steuererhöhung, keine Werbeverbote, keine Ausweitung rauchfreier Orte… ) und stellen für letztere kaum Mittel bereit. Damit betreiben sie die perfekte Verhinderungspolitik.
Die Aktivitäten zur Tabakkontrolle verschiedener institutioneller und gesellschaftlicher Gruppen einzeln aufzuführen, würde diesen Rahmen sprengen – u.a. streben einzelne Bundesländer ein Rauchverbot im Auto oder auf Spielplätzen an, Städte planen Tabakwerbeverbote oder rauchfreie Haltestellen, Abgeordnete und Landesminister wollen mehr rauchfreie öffentliche Orte erreichen, Verbände klagen Gesetzesbrüche ein, private Initiativen agieren gegen Vermüllung durch Zigarettenkippen, Oppositionsparteien bringen Gesetzesvorlagen ein, Petitionen werden eingereicht…
Vieles wäre hierzulande möglich und durch steigende Zustimmung in der Bevölkerung gedeckt, wie z.B. ein Rauchverbot in Fahrzeugen, das aber nicht einmal die Drogenbeauftragte der Bundesregierung unterstützt. Oder mehr Prävention, besserer Zugang zu Entwöhnung, weniger Werbung, weniger Abfall. Nichts davon wird umgesetzt, da der Wille dazu einfach nicht vorhanden ist. Die Tabaklobby behält auch 2020 über einen einflussreichen Kern in der Union die Fäden der Tabakpolitik in der Hand. Fortschrittliche Gesundheitsprävention kommt nicht aus Deutschland.