14.06.2010 Repräsentative Umfrage von Pro Rauchfrei belegt gravierende Mängel der geltenden Regelung zum Nichtraucherschutz
In mindestens 35% der bayerischen Gaststätten werden Nichtraucher den Giftstoffen im Tabakrauch ausgesetzt. Das belegt eine aktuelle Erhebung des Vereins Pro Rauchfrei in über 7.200 Cafés, Diskotheken, Kneipen und Restaurants in allen Teilen Bayerns. Die Daten beruhen auf telefonischen Auskünften der Gastwirte. Sie widerlegen die Behauptung der Tabaklobby, in 90% der bayerischen Lokale würde jetzt schon nicht mehr geraucht. Dazu Siegfried Ermer, Vorsitzender von Pro Rauchfrei und Mitinitiator des Volksbegehrens für echten Nichtraucherschutz: „Unsere Befragung deckt gravierende Mängel beim Gesundheitsschutz in Bayern auf. Sie macht deutlich, dass das so genannte Aktionsbündnis für Freiheit und Toleranz mit seiner groß angelegten Nein-Kampagne die Öffentlichkeit gezielt in die Irre führen will.“ In Anspielung auf ein Plakatmotiv der Rauchverbotsgegner fügt Ermer den Appell hinzu: „Liebe Mitbürger, lasst euch nicht verarschen! Stimmt beim Volksentscheid am 4. Juli mit Ja.“
Die Ergebnisse im Einzelnen:
Von den insgesamt 7.245 befragten Gastronomiebetrieben sind 65,3% laut Angaben der Gastwirte komplett rauchfrei. In mindestens 34,7% der Betriebe wird weiterhin geraucht. Hierbei sind drei Varianten zu unterscheiden:
- 21,0% der Gaststätten werden als Raucherkneipen betrieben.
- 8,9% der Gaststätten haben einen Raucherraum.
- In mindestens 4,7% der Gaststätten gibt es eine „Raucherlaubnis“, die den geltenden Bestimmungen des Gesundheitsschutzgesetzes widerspricht.
Hinsichtlich der Belastung mit Tabakrauch gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Branchensegmenten des Gastgewerbes:
- In 78% der Diskotheken und Musikbetriebe wird geraucht.
- 77% der getränkegeprägten Gastronomie bestehen aus Raucherbetrieben.
- 34% der speisegeprägten Gaststätten sind Raucherlokale oder haben einen Raucherraum.
- 25% der Cafés sind mit Tabakrauch belastet.
Einen Überblick zu den Ergebnissen in den Großstädten und zu den regionalen Differenzen hinsichtlich der Raucherregelung in der Gastronomie gibt Tabelle 1 (weiter unten). In den Großstädten sind 33% der Gaststätten nach wie vor verqualmt, in den Landgemeinden sind es rund 40%. In den ländlichen Regionen Bayerns sind es die Inhaber der einzigen Gaststätte vor Ort, die darüber entscheiden, ob die Bevölkerung dort rauchfrei ausgehen kann. Eine Wahlfreiheit gibt es hier nicht.
Erläuterungen zur Methodik:
Die Befragungsmethode der Pro Rauchfrei-Studie orientiert sich an einer Alltagssituation. Jemand kommt in eine fremde Stadt und sucht im Branchenverzeichnis nach einer Gaststätte, in der er rauchen kann. Aus einer öffentlich zugänglichen Datenbank (Klicktel, Frühjahr 2010) wurden Gastronomiebetriebe ausgewählt, die in den Rubriken „Gaststätten und Restaurants“ (Stichprobe), „Cafés, Bistros, Imbisse, Kneipen und Weinstuben“ (Totalerhebung) und „Diskotheken“ (Totalerhebung) aufgeführt waren. Mehr als 50 Interviewer gaben sich am Telefon als potentielle Gäste aus und fragten nach, ob – und wenn ja: wo – in dem jeweiligen Betrieb das Rauchen erlaubt ist.
Im Zeitraum April/ Mai 2010 wurden 9.654 Gastronomiebetriebe kontaktiert. Kioske und Cateringfirmen sowie falsch etikettierte oder nicht erreichbare Betriebe fielen aus der Befragung heraus. Insgesamt konnten 7.245 Gastbetriebe in die Erhebung einbezogen werden. Dies entspricht 28 % der rund 26.000 Gaststätten in Bayern (Quelle: Umsatzsteuerstatistik 2008, Gastgewerbe ohne Hotellerie, Kantinen und Caterer). Eine Liste mit den Namen sämtlicher Betriebe inklusive der Adresse, der Telefonnummer, der Branchenkategorie und des Interviewers liegt vor.
Es kamen über 50 Interviewerinnen und Interviewer zum Einsatz. Die Kosten der Erhebung wurden allein von Pro Rauchfrei getragen.
Die Nachteile jeder Telefonbefragung liegen darin, dass die Angaben der Gastwirte nur in Einzelfällen verifiziert werden konnten. Immerhin gaben 5% der Wirte einem fremden Anrufer gegenüber zu erkennen, dass sie es mit den Bestimmungen zum Nichtraucherschutz „nicht so eng sehen“. Typisch hierfür sind Antworten wie „ab 18 Uhr dürft ihr rauchen“ oder „wenn das Essen vorbei ist, darf geraucht werden“ oder „am Stammtisch ist das Rauchen erlaubt“. Man kann davon ausgehen, dass mehr Wirte solche irregulären Formen der „Raucherlaubnis“ praktizieren, ohne dies am Telefon kundzutun. Darauf deutet eine Überprüfung des Ärztlichen Arbeitskreises Rauchen und Gesundheit hin, der zufolge es sich bei 94% der Münchener Getränkegaststätten um Rauchergaststätten handelt. Dieser Befund basiert auf Vor-Ort-Besichtigungen von 126 Bars und Kneipen. Es ist also durchaus denkbar, dass der Anteil der Raucherkneipen an der getränkegeprägten Gastronomie in Bayern noch deutlich über den 78% liegt, die sich bei der Telefonbefragung von Pro Rauchfrei ergeben haben.
Schlussfolgerungen:
Am 4. Juli entscheiden die Bayern über das Ja oder Nein zur rauchfreien Gastronomie. Das so genannte „Aktionsbündnis für Freiheit und Toleranz“ betreibt derzeit eine massive Lobbykampagne, um Stimmung gegen einen wirksamen Nichtraucherschutz zu machen. Finanziert wird die Kampagne in erheblichem Maße von der Tabakindustrie und ihren Verbündeten. Nachdem die Tabakindustrie jahrzehntelang die Gefahren des Passivrauchens grundsätzlich abgestritten hat, verharmlost sie nun die Mängel des Nichtraucherschutzes. Angeblich ist ein konsequentes Rauchverbot in den bayerischen Gaststätten unnötig, „weil in 90% der Lokale jetzt schon nicht geraucht wird und das auch niemand ändern will“.
Diese Zahl mag Anfang 2008 richtig gewesen sein, als das Gesundheitsschutzgesetz der CSU in Kraft trat. Heute, zehn Monate nach der Lockerung des Gesundheitsschutzgesetzes durch die CSU/FDP-Koalition, sind es bereits wieder mindestens 35% der Gaststätten, in denen die Atemluft mit den Schadstoffen aus dem Tabakrauch kontaminiert ist. Und die Tendenz ist weiter steigend, falls das Volksbegehren scheitern sollte. Denn dem „Verein zum Erhalt der Bayerischen Wirtshauskultur“ (VEBWK) wurde einem internen Protokoll zufolge vom bayerischen Umwelt- und Gesundheitsministerium zugesagt, den Nichtraucherschutz in der Gastronomie weiter zu lockern.
„Es geht hier nicht um ein paar wenige Eckkneipen und Zigarrenlounges“, so der Kommentar von Siegfried Ermer, sondern um die Gesundheit und Lebensqualität von uns allen. Die Tabakindustrie will eine Entwicklung durchsetzen, bei der die Ausnahmen zur Regel werden. Schon die heutige Regelung ist ein schlechter Witz. Da braucht man sich nur einmal die Raucherräume anzusehen: Entweder steht die Tür dauernd offen oder es ist ein ständiges Kommen und Gehen, weshalb sich der Tabakrauch unweigerlich in der gesamten Gaststätte verbreitet. Das ist wie bei einem sauberen See, bei dem an einer Stelle Klärabfälle eingeleitet werden. Wer einen Nichtraucherschutz möchte, der diesen Namen auch verdient, der muss am 4. Juli mit Ja stimmen.“
Tabelle 1:
Aktuelle Rauchsituation in den großen Städten Bayerns in absoluten Zahlen:
Stadt | Rauchen | davon getrennt |
Sonst. ** | Nichtrauchen | Netto | kein Kontakt möglich |
Brutto |
Alle Städte | 985 | 311 | 156 | 2268 | 3409 | 1123 | 4532 |
Nürnberg | 185 | 53 | 11 | 432 | 628 | 183 | 811 |
München* | 150 | 38 | 18 | 351 | 519 | 244 | 763 |
Augsburg | 109 | 26 | 4 | 219 | 332 | 140 | 472 |
Regensburg | 55 | 19 | 18 | 175 | 248 | 30 | 278 |
Würzburg | 52 | 23 | 4 | 158 | 214 | 40 | 254 |
Ingolstadt | 48 | 15 | 2 | 106 | 156 | 53 | 209 |
Aschaffenburg | 52 | 31 | 22 | 73 | 147 | 20 | 167 |
Bamberg | 47 | 23 | 3 | 97 | 147 | 35 | 182 |
Schweinfurt | 32 | 6 | 4 | 87 | 123 | 49 | 172 |
Bayreuth | 40 | 11 | 5 | 73 | 118 | 29 | 147 |
Erlangen | 23 | 2 | 1 | 93 | 117 | 49 | 166 |
Fürth | 32 | 3 | 3 | 78 | 113 | 44 | 157 |
* Schwabing
** Individuelle und abweichende Interpretation des Nichtraucherschutzes