Der Mythos der 75-qm-Regelung

30.06.2009 Es gibt keine Zahl, die bei dem Thema Nichtraucherschutz so oft durch den Raum fliegt, wie die vom BVerfG vorgegebene Zahl von 75qm2, die laut dem Urteil die „kleinen“ Eckkneipen, deren überwiegende Kunden Raucher sind, vor dem Untergang bewahren sollen. So weit, so gut.

Weniger gut ist, wenn man sich die 75qm2 mal ein wenig näher anschaut. Woher kommt die Zahl, wieso gerade diese Zahl und wie groß sind Eckkneipen eigentlich?

Die erste Frage nach der Herkunft der Zahl ist schnell beanwortet, sie steht in dem Thesenpapier der Tabaklobby, welches im Bundestag 1:1, sogar mit denselben Rechtschreibfehlern, durchgewinkt wurde. Dass sogar die Richter des BVerfG diese Zahl ohne Prüfung als Richtmaß nehmen, muss sehr verwundern.

Die zweite Frage, wieso gerade diese Zahl verwendet wurde, deckt einen geschickten Schachzug der Tabaklobby auf. Zum einem beziehen sich die 75qm auf die reine Gastfläche, das heißt, es müssen bzw. dürfen Toiletten, Küche und der Platz hinter der Theke abgezogen werden. So kann schnell aus einer 200-qm- Gaststätte eine 75-qm-Gastfläche werden. Laut einer internen Studie der DeHoGa fallen, wenn man die reine Gastfläche rechnet, rund 80% aller Kneipen, Bars, Lounges unter diese 75qm-Regelung. Jetzt leuchtet auch ein, wieso gerade diese Zahl verwendet wurde, weil sie de facto einem Großteil der Gastronomie einen Freifahrtschein gibt, diese Regelung zu nutzen. Für den Nichtraucher heißt das im Normalfall.: Von 10 Kneipen sind in der Realität mindestens acht als Raucherkneipen nach dem neuen Gesetz definiert.

Weiter gerechnet heißt dies, dass sich von den 35% aktiven Rauchern, von denen nur die Hälfte, also grob gerechnet 12% der Bevölkerung (16-64 Jahre), die wirklich darauf bestehen, überall zu rauchen, mindestens 80% aller Kneipen abends aussuchen dürfen, wohingegen über 80% der Menschen, die entweder Nichtraucher sind bzw. selbst als Raucher gern rauchfreie Kneipen haben möchten, nur maximal 20% aller Kneipen einer Stadt aussuchen können, sofern sie nicht anderen mit ihrem Rauch schaden wollen, bzw. sich nicht dem gemeingefährlichen Passivrauch aussetzen wollen. Ist das dann wirklich demokratisch gerecht, wenn eine Minderheit bestimmt bzw. beeinflusst, wo die große Mehrheit abends hingehen darf oder nicht? Ist das die Wahlfreiheit, von der vor allem die FDP spricht? Ganz ehrlich – nein, das ist gelinde gesagt pervers!

Damit erschließt sich auch die Antwort auf die dritte Frage. In Österreich werden kleine Eckkneipen mit maximal 50qm Gastfläche definiert, wobei der Barbereich mit reingerechnet wird. Im Eigenversuch habe ich bei uns in Kempten acht Betreiber von Eckkneipen befragt, wie groß ihre Kneipen eigentlich sind. Bei 7 von 8 waren sie unter 50qm, bei einem 60qm.  Wenn man also wirklich die kleinen Eckkneipen schützen will, sollte man ehrlich sein und die Regelung auf maximal 60qm Gesamtfläche beschränken, das wäre dann fair gegenüber den anderen Kneipen, Bars und Lounges, deren Kundschaft sich wohl kaum in so eine Eckkneipe begibt. Ehrlich wäre es auch, wenn die Politik zugäbe, dass die 75qm-Regelung eben nicht die Eckkneipen schützen soll (denn dann hätte man die Zahl reduziert und die 75qm als Gesamtfläche angegeben), sondern dazu beitragen soll, der Minderheit der militanten Raucher (also derjenigen, die meinen, unbedingt überall rauchen zu müssen) die maximale Auswahlmöglichkeit zu geben und den Rest mit dem Satz: „Wenn es euch nicht passt, müsst ihr nicht ausgehen“ abzuspeisen.

Aber dazu ist die Politik zu feige und die Wirte- und Tabaklobby noch zu mächtig.