13.12.2008 Mit dem katastrophalen Pakt zwischen Bundesregierung und dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) soll den Bürgern Sand in die Augen gestreut werden. Der Plan scheint auch zu funktionieren. Immer wieder hört man von Nichtrauchern, dass sich etwas bewegt. Dabei werden oft nur die Fortschritte anderer Länder auf die eigene Situation übertragen.
Eigentlich sollte sich die Diskussion doch erübrigen: Tabakrauch ist erwiesenermaßen gesundheitsschädlich und tödlich. Die logische Konsequenz dieser in unzähligen wissenschaftlichen Arbeiten und Studien bewiesenen Tatsache sollte ein Verbot des Rauchens überall dort sein, wo sich Menschen in geschlossenen Gebäuden aufhalten.
Die Ohren bei den Verantwortlichen sind indes jedoch taub und die Augen blind. Nach wie vor drückt sich die Bundesregierung in unserem Land davor, dringend erforderliche Gesetze zum Schutz der Bürger zu erlassen. Stattdessen beschränkt man sich darauf, „zahnlose Tiger“ wie den § 5 der Arbeitsstättenverordnung zu schaffen oder mit Verbänden zu paktieren, die der Tabakindustrie anscheinend näherstehen als den eigenen Mitgliedern: Gemeint sind hier die Hotel- und Gaststättenverbände unter der Federführung des Dehoga. „Freiwillige Selbstverpflichtung“ lautet dort das Zauberwort, und mit Engelszungen wurden die Entscheidungsträger in der Politik eingeseift und instrumentalisiert.
So hat die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Frau Marion Caspers-Merk, SPD, gewollt oder ungewollt, Fortschritte im Bereich der Gastronomie auf Jahre hinweg blockiert. Der Dehoga indes hat damit der Tabak-Drogenindustrie viel Zeit verschafft. Diese Zeit wird auch benötigt, um ein völliges Zusammenbrechen des Geschäfts mit der staatlich sanktionierten „Drogendealerei“ zu verhindern: Wäre nämlich neben Steuererhöhungen, umgesetzten Werbeverboten und immer schärferen Auflagen für den Verkauf auch noch das „Gequalme“ in der Gastronomie weggebrochen, dann wäre das ein tiefer Dolchstoß für die Tabak-Drogenindustrie in unserem Land gewesen. Nun hat die Branche einige Jahre Zeit, Lobbyarbeit zu betreiben, die öffentliche Meinung zu manipulieren, alternative Strategien zu erarbeiten und alte sowie neue Spießgesellen der politischen Riege zu aktivieren.
Wie so etwas aussieht, konnte man erst jüngst wieder beobachten: Zunächst werden die Hinterbänkler wie „Gesundheitsexperte“ Parr von der FDP vorgeschickt, um die Lage zu sondieren. Dazu scharen sich weitere Hinterbänkler aus den anderen Parteien wie z. B. Herr Spahn von der CDU, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit. Zeigt sich nicht genügend Widerstand, wird auch gerne mal mit frisierten Zahlen gearbeitet, wie der Dehoga mehrfach eindrucksvoll bewiesen hat.
Die aufkeimende Unruhe im Kreis der Tabaklobby hing mit dem Scheitern der ersten Stufe des Paktes der Bundesregierung mit dem Dehoga zusammen. Bis zum 1.3.2006 sollten in 30 % der Gaststätten mindestens 30 % des Platzangebotes für Nichtraucher reserviert sein.
Was jedem, der sich mit dem Thema näher auseinandergesetzt hat, bereits im Vorfeld klar war, tritt nun offen zu Tage: Nicht annähernd wurde das gesteckte Ziel erreicht.
Dies beweist sehr eindrucksvoll die Datenbank des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Verbraucherschutz: Von den rund 1.200 eingetragenen Betrieben bayernweit, alleine in München gibt es ca. 3.000 Lokale, bezeichnen sich nur 0,54 % (0,15 % ohne Systemgastronomie wie McDonald’s) als rauchfrei. Wie viele der gemachten Angaben der Fantasie des Wirtes entsprechen, kann nur vermutet werden, da die Angaben nicht überprüft werden.
Diese Entwicklung war vorherzusehen und ist auch nachvollziehbar: Da sich das Gastgewerbe jahrzehntelang unter dem Eindruck der Propaganda des Dehoga nahezu ausschließlich auf raucherfreundliche Angebote spezialisiert hat, kann Freiwilligkeit nicht funktionieren. Warum auch sollte der Raucher freiwillig Verzicht üben? Er wird so lange ausweichen wie sich raucherfreundliche Lokalitäten anbieten und damit das Vorurteil belegen, dass die rauchfreien Restaurants nicht nachgefragt werden. Verstärkt wird das noch durch Nichtraucher, die „um des lieben Friedens Willen“ lieber leiden (=tolerieren), als sich mit den Rauchern in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen.
Der mutige Wirt hat dabei das Nachsehen. Deshalb forderte Pro Rauchfrei schon immer ein gesetzliches Rauchverbot. Nur auf diesem Wege lassen sich für alle Wirte gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und leidige Diskussionen zwischen Nichtrauchern und Rauchern vermeiden. Nur ein klares gesetzliches Verbot führt die Gastronomen aus der Ecke, in die sie von ihren „Interessenvertretungen“ gedrängt wurden. Gleichzeitig wird die bestehende gesundheitliche Diskriminierung der Angestellten im Gastgewerbe beendet.
In großer Aufmachung und unter der Überschrift „Die deutsche Milde mit den Rauchern“ und dem Einleitungssatz „Der Verein ’Pro Rauchfrei’ fordert für deutsche Gaststätten ein Rauchverbot nach spanischem Vorbild“ eröffnete die Westdeutsche Allg. Zeitung (WAZ) das Jahr 2006 und zitiert dabei Dipl.-Kfm. Siegfried Ermer mit den Worten: „Rauchen muss aus der Öffentlichkeit verbannt werden“. Unter der Überschrift „Gasmaske nötig“ und einem Bild, auf dem ein Mann mit Gasmaske in einem Lokal einer Frau eine Zigarette anzündet, wird die Situation in Deutschland mit Blick auf Europa und New York deutlich gemacht.
Die neue Drogenbeauftragte Sabine Bätzing, SPD, wird schon damit zitiert, dass sie die Chancen für ein Rauchverbot auf Bundesebene zurückhaltend bewertet. Vielmehr habe der Bund mit der Arbeitsstättenverordnung 2002 bereits für mehr Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz gesorgt. Bei der Situation in Cafés, Bars, Kneipen und Restaurants bezieht sich Sabine Bätzing auf die „Zusage“ des Dehoga, bis 2008 deutlich mehr Plätze und Bereiche für Nichtraucher zu schaffen.
Bemerkenswert schon hier, dass von den „50 % Prozent rauchfreier Bereich in 90 % der Gaststätten“ schon gar nicht mehr die Rede ist. Weiter heißt es dann: Diese freiwillige Selbstverpflichtung hat für die Gastwirte den Charme, dass der Bund im Gegenzug bis 2008 auf ein gesetzliches Rauchverbot verzichtet. „Ein effektiver Schutz der Nichtraucher ist damit auf Jahre verhindert worden“, folgert Dipl.-Kfm. Siegfried Ermer vom Verein „Pro Rauchfrei. Die Vereinbarung sei ein „Dolchstoß in den Rücken der Nichtraucherfraktion“.
In punkto Rauchen wünscht sich Ermer amerikanische Verhältnisse: „Hier braucht man in manchen Lokalen ja eine Gasmaske.“ Er plädiert auch deshalb für ein allgemeines Rauchverbot, weil dann kein Wirt Umsatzeinbußen befürchten müsse: „Alle hätten die gleichen Wettbewerbsbedingungen.“
Und nun kommt erstmals Herr Parr ins Spiel: Genau umgekehrt argumentiert der FDP-Gesundheitsexperte Detlef Parr: „Wer heute ein völlig rauchfreies Lokal betreibt, hat damit ja möglicherweise einen Wettbewerbsvorteil.“ Das müsse der Markt regeln, nicht der Gesetzgeber; schließlich sei Tabak wie Alkohol ein legales Genussmittel.
Es muss sich jedem wirtschaftlich denkenden Betrachter der Kamm aufstellen, wenn er solche unsinnigen Argumente von jemandem hört, der dann noch als „Experte“ tituliert wird. Wer solche „Experten“ hat, braucht sich über den Stillstand in Deutschland nicht zu wundern. Immerhin schränkt er seinen Wettbewerbsvorteil mit dem Wort „möglicherweise“ gleich wieder ein. Würde der „Experte“ und gelernte Realschullehrer Parr wirklich etwas von Wirtschaft verstehen, dann würde er eine solche Behauptung nicht aufstellen.
Wer in der Wirtschaft gegen den „main stream“ handelt, der muss eine dicke Brieftasche oder einen langen Atem mitbringen. Schon ohne Rauchverbot braucht heute eine neu eröffnete Gaststätte drei bis fünf Jahre, bis sie den „break even“ (Gewinnschwelle) erreicht. Nicht umsonst gibt es auch in unserer ach so freien Marktwirtschaft eine Kartellbehörde, die übermächtige Multis in die Schranken weist.
Und im Gastronomiesektor herrscht das Kartell der Tabakmultis, die auch die FDP fest im Griff zu haben scheinen. Bei deren Bundesparteitag kurz vor der letzten Bundestagswahl konnte „Philipp Morris“ eine eigene Luxus-Lounge einrichten, um die Medienvertreter zu „verwöhnen“. Nebenbei dürfte sich die Miete des Berliner Kongresszentrums ICC auch für die FDP günstig reduziert haben.
Wen wundert es da noch, wenn auch andere Parteien sich „wohlverhalten“. So heißt es, dass auch „die Gesundheitsfachleute von Grünen und Union wenig von Rauchverboten in Gaststätten halten“. Harald Terpe von den Grünen wird mit dem Satz zitiert: „Ich bin selbst Nichtraucher, aber ich gönne Rauchern den Genuss einer Zigarette nach dem Essen“. Und der Christdemokrat Jens Spahn glaubt, dass es auch Nichtraucher stört, wenn ihre rauchenden Begleiter den halben Abend vor und nicht in der Kneipe verbringen. Wie traurig und beängstigend es ist, dass einige Raucher so unter ihrer Sucht leiden müssen, dass sie den Griff zur Zigarette weniger kontrollieren können als ihren Harndrang, scheint die Damen und Herren, die sich mit dem Thema politisch auseinandersetzen, nicht zu interessieren.
Dass im Kreis der FDP grundsätzlich wenig Begeisterung anzutreffen ist, wenn es um Verbote oder gar neue Gesetze geht, ist noch nachvollziehbar. Dass jedoch auch Anhänger von Parteien, die sich selbst Attribute wie christlich, sozial oder ökologisch verleihen, ebenfalls in diese Kerbe schlagen, macht deutlich, wie gering das Wissen um das Ausmaß der Schäden ist, die Deutschland durch die Tabakindustrie und korrumpierte Interessenverbände zugefügt werden. Schließlich gibt der Verband der deutschen Cigarettenindustrie (VdC) selbst zu, dass er mit dem Dehoga zusammenarbeitet. Und die Zigarettenindustrie, die es natürlich begrüßt, dass der Dehoga gegen ein Rauchverbot ist, hat eine Broschüre bezahlt, die den Gastwirten zugesandt wurde. So geht aus vertraulichen Dokumenten hervor, dass schon vor 15 Jahren 100.000 DM für eine Dehoga-Aktion ausgegeben wurden. Wie hoch sind wohl derzeit die Summen, die sich die Tabak-Drogenindustrie leistet, um in der entscheidenden Phase über ein Rauchverbot dem Dehoga unter die Arme zu greifen?
Diese Zustände werden nun nicht zuletzt auch durch Pro Rauchfrei immer häufiger aufgedeckt und über die Medien einer breiten Leserschaft zur Kenntnis gegeben. Kein Wunder also, dass die Gegenbewegung nicht lange auf sich warten ließ. Hat noch die Rheinische Post am 9.1.2006 das Thema rund um die wirtschaftlichen Faktoren der Vereinbarung und unter Bezug auf Pro Rauchfrei aufgegriffen, haben jetzt die Haie im Medienmarkt Blut gerochen.
Mal wieder ist es die dpa, die den Bericht der WAZ als eigene Recherche unter Totschweigen von Pro Rauchfrei auf den Markt warf. Seit Jahren scheint die dpa fest im Meinungsgriff der Tabak-Drogenindustrie zu sein, die nun ihre Schwadronen losschickt, gegen den Neid der deutschen Bevölkerung auf die rauchfreien Entwicklungen in ganz Europa mobil zu machen und unter denen nun auch Frau Bätzing einzuknicken scheint.
Neben dem Handelsblatt kam dann noch der Focus mit denselben, einseitigen und unqualifizierten Äußerungen von Herrn Parr auf den Markt. Mit der Verstärkung der immer gleichen und einfachen Stammtischparolen wie die des Herrn Parr soll anscheinend die Bundesregierung, und ganz bewusst die neue Drogenbeauftragte Frau Bätzing, „genötigt“ werden, nichts zu unternehmen.
Einzelne Hinterbänkler-Politiker preschen massiv vor, als hätte man Druck auf sie ausgeübt, und geben die Marschrichtung für die junge, noch unerfahrene Drogenbeauftragte vor. Die übermächtige Tabakindustrie tut ihr Übriges dazu. Und im Hintergrund wacht anscheinend Caspers-Merk (die Vorgänger-Drogenbeauftragte) noch als Lebenszeit-Staatssekretärin mit ministerialer Macht darüber, dass Frau Bätzing ja nicht aus ihrer vor Jahren gelegten Spur läuft.
Weil dies absehbar war, hat Pro Rauchfrei begonnen, den Lügen entgegenzuwirken, die vom Dehoga seit Anfang des Jahres verbreitet werden: „Die freiwillige Selbstverpflichtung funktioniert“, hatte der Verband fälschlicherweise behauptet.
Was kann man auch anderes erwarten von einem Bock, den die Bundesregierung zum Gärtner der Vereinbarung gemacht hat? Der Dehoga selbst soll schließlich die Vereinbarung, die keinerlei Sanktionen im Falle des Scheiterns vorsieht, kontrollieren. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn es wieder heißt, wie schon vor zwei Jahren und noch vor der Vereinbarung: „39 % Prozent der Gaststätten sind rauchfrei“, wohlgemerkt „rauchfrei“ und nicht „raucharm“. Das Raucherparadies Deutschland wird wieder aufatmen und die Stammtischblätter werden einhellig resümieren: „Es geht auch ohne Zwang“.
Dem gilt es zu begegnen. Nie war Pro Rauchfrei so wertvoll wie heute.