CDU/CSU – das Raucherzünglein an der Waage eines Nichtraucherschutzgesetzes

13.12.2008  Nach fast einem Jahrzehnt ist das Thema eines Nichtraucherschutzgesetzes wieder aktuell. Doch nicht anders als im Jahre 1998 zeichnet sich keine Mehrheit für ein umfassendes Rauchverbot, gerade und besonders in Gaststätten ab. Hauptbremser ist wieder einmal die CDU/CSU, wenn man von der Verweigerungshaltung der FDP absieht.

Die Grünen und sogar die Linke sind mit großer Mehrheit dafür. Auch in der SPD ist wohl mit einer deutlichen Mehrheit zu rechnen, wenn sich denn endlich mal die Gesundheitsministerin persönlich dafür stark machen würde.

Und hier sind wir schon bei einem wesentlichen Grund für das Zerreden der wichtigen Initiative der SPD-Abgeordneten Lothar Binding, Carola Reimann und Margrit Spielmann. Während sich in unseren Nachbarländern jeweils die Gesundheitsminister an die Spitze der Nichtraucherbewegung gestellt haben, hält sich bei uns Frau Ulla Schmidt deutlich zurück. Sie werde sich erst an die Spitze der Nichtraucherbewegung stellen, wenn die Initiative im Bundestag eine Mehrheit findet, so wird sie schon im August dieses Jahres zitiert. Im Bundeswehrjargon würde man dies Drückebergerei, Dienstverweigerung oder gar Fahnenflucht nennen. Es ist die ur-eigenste Aufgabe einer Gesundheitsministerin, dem Gesundheitsschutz zu dienen, und das nicht als Nach- sondern als Vorhut. Wer zieht schon gerne als „Kanonenfutter“ in den Kampf, während sich der Feldherr das Gemetzel aus sicherer Position ansieht? Wer solche mutlosen Politiker hat, braucht sich über den Stillstand in Deutschland nicht zu wundern.

Nun könnte man noch einwerfen, von der Thematik sei auch das Verbraucherschutzministerium betroffen. Schließlich hat der oberste verbale Verbraucherschützer Seehofer (CSU) während des Sommerlochs großspurig getönt: Ich bin Minister für Land und Leben. Ich bin für alles zuständig, was für die menschliche Existenz wichtig ist und deshalb auch für den Nichtraucherschutz. „Nach der Sommerpause besprechen wir in der Koalition, wer initiativ wird: Die Bundestagsfraktionen oder die Bundesregierung, also Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und ich.“

Nun haben sich beide obersten „Volksschützer“ aus der Verantwortung gestohlen, Horst Seehofer, weil er nun doch nicht zuständig ist und Ulla Schmidt, weil sie selbst nicht kämpfen, sondern triumphieren will. Und um das Trio der Minister vollständig zu machen, muss noch Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), selbst Raucherin, genannt werden, die allen Ernstes behauptete, es gäbe keine öffentlich zugänglichen Zigarettenautomaten mehr („beispielsweise sind die Zigarettenautomaten schon von der Straße weg“, Tacheles.02-Chat, 3. 2. 2004) und sich, wen wundert es, auch gegen ein generelles Rauchverbot in Gaststätten ausgesprochen hat.

So haben das Feld andere übernommen – und das mit tatkräftiger Unterstützung des Verbandes der Cigarettenindustrie (VdC). Schwer hatte es dabei die Tabakindustrie nicht, „die mit tödlichen Waffen hausiert und am Geschäft mit Menschenleben profitiert und denen jedes soziale Verantwortungsbewusstsein fehlt“ (Robert Kennedy 12. 9. 1967). Schließlich kann sie sich auf eine stabile Raucherfraktion, besonders in der Union, verlassen, die entweder selbst am Nikotintropf hängt oder sich, mangels besseren Wissens, durch die Tabakindustrie instrumentalisieren lässt.

Und mit Gastgeschenken wird versucht, jeden neuen Bundestagsabgeordneten auf Tabakkurs zu bringen und die „Freundschaft“ zu erhalten: „Als Harald Terpe im letzten Herbst sein Abgeordnetenbüro in Berlin bezog, waren die Tabaklobbyisten schon da. Sie hatten dem grünen Gesundheitspolitiker ein Paket voller Werbegeschenke zukommen lassen, um den Bundestags-Neuling gleich mal an den Politik-Alltag in Berlin zu gewöhnen. Terpe warf das Paket ungeöffnet in den Müll. So rigoros wie Terpe distanzieren sich nicht alle Bundespolitiker von den Interessen der Tabakindustrie. Der Einfluss der Zigarettenhersteller in Berlin ist enorm.“ (SZ 27. 9. 2006).

Besser kann das nicht belegt werden als durch ein Strategiepapier des VdC. In seinem Internetauftritt hat Pro Rauchfrei dieses Papier am 27. 9. 2006 als erster im Original öffentlich gemacht, Stunden, bevor der Cigarettenverband zu einem Parlamentarischen Abend bei Essen, edlen Getränken und natürlich Rauch in seinen verbandseigenen Clubraum in Berlin geladen hatte und die Presse dann ein „Einknicken“ der Union vor der Tabaklobby ausgemacht hat.

Wer der Einladung gefolgt ist, verrät der Gastgeber nicht, dass es aber etliche Aspiranten gibt, zeigen die nachfolgenden Äußerungen und Verhaltensweisen einiger Unionsabgeordneter. Schließlich hat die Union die Frechheit besessen, der gemeinsamen Arbeitsgruppe der Koalition einen Vorschlag für ein Nichtraucherschutzgesetz vorzulegen, das wohl nur eine Kopie des VdC-Papiers war, denn sogar die Rechtschreib- bzw. Druckfehler wurden eins zu eins übernommen.

Unter den vielen Wortmeldern aus der Tabakfraktion stechen besonders drei Personen deutlich heraus: Zum einen ist dies der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Norbert Röttgen.

Der CDU-Hoffnungsträger, oder sollte man lieber sagen der des VdC – schließlich wird die Seelenverwandtschaft schon durch die Buchstaben deutlich (lesen Sie doch VDC mal von rechts nach links, wobei das „V“ leicht als „U“ gelesen werden kann) – wollte neben seiner Abgeordnetentätigkeit noch als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie arbeiten. Energisch wehrte sich Röttgen dagegen, dass Nebeneinkünfte nicht nur dem Bundestagspräsidenten angezeigt, sondern auch veröffentlicht werden müssen. Aktuell klagt unter anderem sein Parteifreund, der Abgeordnete Friedrich Merz, Multi-Funktionär mit 11 Nebenjobs, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Beschluss des letzten Bundestages, Nebeneinkünfte veröffentlichen zu müssen. Warum wohl?

Vielleicht deshalb: Mit der Vorlage des CDU-VdC-Papiers sei der fraktionsübergreifende Gruppenantrag, den bisher 144 Parlamentarier unterschrieben haben und der ein umfassendes Rauchverbot in der Gastronomie vorsah, „vom Tisch“, so Röttgen.

Im Schlepptau der Tabakkonzerne schwimmen auch der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bernhard Kaster (warnt vor der gesetzlichen Keule: „Statt staatlicher Zwangsregelung mit Gesetzen und Bußgeldern sollten wir der Gesellschaft wieder mehr zutrauen. Es geht dabei um den Erhalt von Freiheiten.“) und der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Hartmut Koschyk („Ein generelles Rauchverbot könne jedoch überbordende Bürokratie mit sich bringen“. Schließlich gelte es auch, wirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen).

Geschäftsführer, die meist hinter verschlossenen Türen agieren und die Abgeordneten auf Parteilinie trimmen, treten nun öffentlich für den Vorschlag des VdC ein. Die Verflechtung der beiden Abgeordneten mit der Tabakindustrie kann nicht deutlicher sein: In ihren Wahlkreisen stehen Tabakfabriken (siehe der Politische Kommentar), und die sind ihnen anscheinend wichtiger als Tausende Tabaktote, die diese Industrie in ihren Wahlkreisen Jahr für Jahr auf dem Gewissen hat. Beide Herren wurden auch gleich als Unterhändler der Union für die Arbeitsgruppe (je zwei Vertreter der Fraktionen und je ein Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums und des Verbraucherschutzministerium) gehandelt, die bis Ende des Jahres ein Nichtraucherschutzgesetz formulieren soll.

Die Beispiele für die Fähnleinträger der Tabakindustrie in der Union könnten fast beliebig fortgesetzt werden. Eine Äußerung jedoch sollte hier noch zu Wort kommen, weil sie exemplarisch für die Geisteshaltung in der Union zu sein scheint, es ist die des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus. Althaus sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, die Bedenken der Union gegen ein generelles Rauchverbot rührten daher, dass dann dem Laster in illegalen Kneipen gefrönt werde. Für wie dumm halten Politiker ihre Wähler? Darauf könnte Bruno Jonas eine Antwort haben, wenn er sagt: „Ministerpräsidenten müssen quasi so dumm daher reden, weil nur dann werden sie gewählt“ (Scheibenwischer, 5. 10. 2006).

Also hat doch wieder der Wähler die Schuld. Zwar wünschen sich zwei Drittel der Bevölkerung nach einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung rauchfreie Gaststätten, doch wählen „nur die dümmsten Kälber ihre Metzger selber“. Und die scheinen unter den Unionswählern besonders zahlreich vertreten zu sein. Immerhin wünschen sich nämlich zwei Drittel der Unionswähler rauchfreie Gaststätten, während es bei den SPD-Wählern „nur“ 63 Prozent sind. Aber vielleicht erinnern sich ja die Unionswähler bei den nächsten Wahlen an die Ignoranz der christlichen Politiker, die ihre eigenen Werte mit Füßen treten. Viele Prozentpunkte fehlen nicht und die Unionspolitiker könnten einem umfassenden Nichtraucherschutz nicht mehr im Wege stehen. Aber bis mindestens 2009 müssen wir wohl noch warten, denn wir würden es der SPD verübeln, wenn sie einen faulen Kompromiss bei den Gaststätten, Kneipen und Diskotheken mittragen würde.

Lieber gar kein Gesetz für die Gaststätten als ein faules. Denn der Gesundheitsschutz ist nicht verhandelbar. Lieber kämpft Pro Rauchfrei noch ein paar Jahre länger für ein rauchfreies Deutschland, während die bezahlten Volksvertreter das Land weiter ins europäische Abseits manövrieren.

Nächstes Jahr folgen England und Frankreich mit einem totalen Rauchverbot in Gaststätten, Kneipen und Diskotheken, und selbst in der kleinen Schweiz werden nach dem Tessin immer mehr Kantone rauchfrei. Doch dort herrscht eben Basisdemokratie, bei der die Wähler über ein Nichtraucherschutzgesetz abstimmen dürfen, während uns unsere Politiker dieses Plebiszit versagen. Manche Parteifunktionäre sprechen ihren Abgeordneten sogar die freie Entscheidung ab, indem sie sie am liebsten zur Fraktionsdisziplin verdonnern würden, um den Umsatz einer Industrie zu sichern, die mit Menschenleben und der Schädigung der Volksgesundheit ihr Geld verdient.

Artikel 38 GG: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Hoffen wir nur, dass sich vor allem die Abgeordneten der Union nicht von gewissenlosen Funktionären verführen lassen, sondern selbst die Initiative ergreifen. Die haben es vorgemacht, indem sie dem wachsweichen Regierungsvorschlag die rote Karte gezeigt haben: Sie stimmten gegen die Regierungsvorlage und für ein totales Rauchverbot, das neben den Gaststätten auch alle Pubs und Diskotheken umfasst.

Also, lieber Leser, ärgern Sie sich nicht über den Autor, sondern über eine Politik, die christliche Werte und die Gesundheit der Menschen hinter die Profitgier eines Syndikats stellt, das auch vor Meineid nicht zurückschreckt (Schwur der Vorstandsvorsitzenden der sieben großen amerikanischen Tabakkonzerne, 1994). In der Folge stimmten die Tabakkonzerne Zahlungen von über 200 Milliarden Dollar zu.

Erst jüngst hat sich der Tabakriese Philip Morris von einer weiteren Strafverfolgung über seine Verwicklung in den Zigarettenschmuggel freigekauft, indem er sich zur Zahlung von 1,25 Milliarden Euro gegenüber der Europäischen Union bereiterklärt hat. Ironie des Urteils: Das tabakfreundliche Deutschland bekommt daraus eine Summe von fast 200 Millionen Euro.